Was für ein Eheleben
Der Fischer sitzt
eintönig am Meer und angelt, und seine Frau hockt zuhause
in ihrer erbärmlichen Hütte, die sie »Pisspott«
nennt. Mit markanten Strichen zeichnet dieses Märchen
die Situation eines beziehungslosen Paars, die uns auch heute
nicht fremd ist.
Aber dann tritt das unerwartete Ereignis ein: Der Fischer
zieht einen sprechenden Butt aus den Tiefen seines Seelenmeers,
wirft ihn aber schnell wieder rein. Doch seine Frau, die Ilsebill,
will nicht so, wie er wohl will. Und damit kommt die Sache
ins Rollen. Ilsebill entwickelt immer maßlosere Wünsche,
die Natur bäumt sich auf und der Mann wird zur lächerlichen
Figur. Auch das alles ist uns heute nicht so fremd. Bleibt
die Frage: Wie kann das Glück in dieser verfahrenen Beziehung
wiederhergestellt werden?
Der Fischer
Die Dramaturgie dieser Mär werden
wir noch genau zu betrachten haben, um ihr auf die Schliche
zu kommen, doch schauen wir uns zunächst den männlichen
Hauptdarsteller an. Auf der Besetzungsliste erscheint er als
"der Fischer". Mit seiner Frau zusammen wohnt er
in einem "Pisspott" nahe der See. Was für eine
Arbeitsanweisung an den Bühnenbildner!
Der Fischer angelt, wird erzählt. Eigentlich erwarten
wir doch von einem Fischer, dass er mit dem Boot aufs Meer
fährt, Netze auswirft und fischt oder zumindest Reusen
aufstellt. Dieser hier angelt nur. Er ist also eigentlich
gar kein Fischer, sondern ein Angler.
"Die See" ist synonym für Meer. Um im Meer
angeln zu können, muss man ein gutes Stück hinauswaten,
mit hohen Stiefeln tief im Wasser stehen und die Angel weit
auswerfen. Von diesem Fischer heißt es jedoch, er sitze,
dass er bei der Angel sitze. Er hält also die Angel nicht
einmal in Händen, sondern hat sie irgendwie, irgendworan
befestigt, sich selbst überlassen, während er daneben
sitzt. Wo das Meer flach anstrandet, kann er nur auf einem
Steg sitzen, der recht lang sein muss, um in genügend
tiefes Wasser zu reichen, oder er sitzt auf einer Klippe steil
über dem Meer. Regisseur und Bühnenbildner werden
das zu klären haben.
Dass schon diese erste Szene so absurd und irrational erscheint,
zeigt zumindest, dass es dem Märchen nicht darauf ankommt,
ein realistisches Bild zu entwerfen, sondern eine Stimmung,
eine emotionale Befindlichkeit in Szene zu setzen. Dort ist
die See, das Meer, mächtig, weit, tosend, tiefgründig,
voller Schätze und Geheimnisse. Der Urgrund des Lebens.
Und hier sitzt der Fischer, tatsächlich nur ein Angler,
tatenlos. Er hat nicht einmal seine Angel im Griff.
Jeden Tag geht er ans Meer angeln, unser Fischer. Jeden Tag.
"Und er angelte und angelte." Mit dieser einfachen
Wiederholung gelingt es Wilhelm Busch in der Fassung letzter
Hand, die ganze Eintönigkeit dieses Tuns vor unserem
geistigen Auge entstehen zu lassen. Wir sehen geradezu das
ewige Rollen der See, riechen den Wind und hören die
Schreie der Möwen. Und der Fischer angelt und angelt.
Die Erstausgabe berichtet hingegen, er sei lange Zeit so jeden
Tag zum Angeln gegangen.
Was geht in diesem Mann vor? Früh morgens geht er aus
dem Haus, dem Pisspott, geht vermutlich den immer gleichen
Weg zum Meer, an seine Stelle, stellt auf die
immer gleiche Art seine Angel auf und sitzt daneben seine
Zeit ab, gelegentlich unterbrochen durch das Einholen eines
gefangenen Fisches. Die langatmige Gemächlichkeit dieser
ersten Szene unterstreicht die Einförmigkeit und Leere
im Leben des Fischers. Wie viele Fischer gehen
so Tag für Tag an ihre Arbeit, eine lange Zeit?
Der Fischer sitzt den ganzen Tag am Meer bei seiner Angel
und wartet, dass ein Fisch anbeißt. Und während
er wartet, schaut er "immer in das klare Wasser hinein:
und er saß und saß."
Am Abend wird er seine Angel einholen und mit seinem Fang
nach Hause, in den Pisspott gehen. Wenn es gut geht, wird
er ein paar Fische gefangen haben, gerade genug, um sich und
seine Frau recht und schlecht zu ernähren. Für mehr
reicht es nicht. Und die ganze eingeschliffene Monotonie erweckt
auch nicht den Eindruck, der Fischer wolle, könne irgendetwas
an dieser Situation ändern.
Tagein, tagaus sitzt er am Meer bei seiner Angel und schaut
in das klare Wasser. Was geht dabei in ihm vor? Wo sind seine
Gedanken? Wir wissen es nicht, doch...
Der Pisspott
Eine amüsante Arabeske, dieser
Pisspott. Zu Grimms Zeiten war er offensichtlich tragbar,
zumindest in einem plattdeutschen Text. Bis in die Ausgabe
letzter Hand hat er sich gehalten. Doch die Mickymausierung
der Märchen hat mit Wilhelm Grimm ihr Ende nicht gefunden.
In einer weit verbreiteten neueren Übertragung ins Hochdeutsche
ist der Pisspott verschwunden, verniedlicht zu einem "alten
Topfe", wo er doch zumindest als Nachttopf hätte
übersetzt werden sollen. Das lässt ahnen, was aus
den Märchen geworden wäre, hätte sie solcher
Geist durchgehend bearbeitet.
Nun, in einem Pisspott kann niemand wohnen, auch ein Fischer
und seine Frau nicht. Auch in einem alten Topfe können
sie natürlich nicht wirklich wohnen. Wieso findet das
Märchen zu diesem Ausdruck?
Die Sprache der Märchen das ist die Sprache der
Seele , ist einfach, direkt und ausdrucksstark. Da werden
eindringliche Szenen gezeichnet und deftige Bilder zitiert.
Der Pisspott ist ein markantes Beispiel dafür. Manche
mütterliche Mutter mag das erschrecken.
Das Wort "pissen" ist lautmalerischen Ursprungs,
also ganz unmittelbar. Man hört und sieht geradezu den
Urin auf eine Art spritzen, die dem biederen Bürger natürlich
nicht zumutbar ist. Bis ins letzte Jahrhundert war Französisch
die Geheimsprache der Herrschaft, die von ihren Lakaien nicht
verstanden werden sollte. Deshalb galt Französisch als
fein und deshalb hat sich das Pissen im Pissoir auch recht
lange gehalten. Doch heute ist das Wort aus dem anständigen
Wortschatz gänzlich verschwunden. Nur in bedürftigen
Kreisen hört man es noch, zum Beispiel als "verpiss
dich" oder "piss dir nicht ins Hemd".
Sprache verändert sich; Wörter changieren ihre Bedeutung.
Heute ist eine Dirne auch keine junge Frau mehr. Machen wir
also aus dem anekelnden Pisspott einen sozial-korrekten alten
Topf? Ich meine nein, weil der asoziale Beiklang einfach trefflich
ist.
Ein armer Fischer in einem anderen Märchen hätte
mit seiner Frau vermutlich in einer Hütte, einer Kate
gewohnt. Kate ist die neuere Form von Kote, womit ursprünglich
wohl eine mit Flechtwerk abgedeckte Höhle oder ein Erdloch
gemeint war. Das Wort Kot bedeutet Schmutz, Dreck, wie heute
noch in Kotflügel. Eine Kote wäre dann so etwas
wie ein Dreckloch. Und genau das ist heute die umgangssprachliche
Bezeichnung für eine ärmliche Behausung.
Der Katen ist das plattdeutsche Wort für Tagelöhnerwohnungen,
das waren kleine Häuser mit ein, zwei oder drei Wohnungen,
die entsprechend als Ein-, Twei oder Dreipott bezeichnet wurden.
Und da sind wir ganz nahe beim Pisspott, der in diesem Märchen
als Metapher eine Behausung, ein Dreckloch beschreibt, das
noch ärmlicher und schäbiger ist, als der kleinste
und schäbigste Katen.
Die Metapher "Pisspott" ist an dieser Stelle unbedingt
das treffende Wort. Doch nicht nur das, sie gibt auch ein
Beispiel von der Ursprünglichkeit und sprachlichen Kraft
der Märchen, die einer Erlebnisintensivität bildhaften
Ausdruck gibt, die weit über den verengten Erfahrungsraum
des modernen Stadtbürgers hinausgeht. Es
ist billig, schnell die Nase zu rümpfen und sich im Missverstehen
behaglich einzurichten. Und es ist lohnend, den Wörtern
und Bildern im Märchen auf den Grund zu gehen. Dabei
kann man manchen dicken Fisch an Land ziehen und vielleicht
ist auch mal ein verwunschener Prinz dabei...
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